Heute vor einer Woche haben wir Wien verlassen und heute bleiben die Transalps mal stehen! Unseren ersten motorradfreien Tag starten wir mit einem guten Frühstück im leider ziemlich sterilen Campingrestaurant. Zum Pauschalpreis von 10.-/pP darf man sich am Frühstücksbuffet bedienen und da sind durchaus ein paar nette Kleinigkeiten aufgetischt! Und gratis Refill an der Kaffeekanne. Damit haben sie uns!
Nachdem Angelika die Regale mit Pudding und Crème brûlée und Didi die Fleischabteilung leergeräumt hat, machen wir uns auf den Weg. Es ist knapp nach 10.00 Uhr, als wir Richtung Innenstadt wandern. Bayeux ist für viele Sehenswürdigkeiten und historische Meilensteine berühmt!
Wir passieren einen Baumarkt, ein paar Kebab-Buden und eine Tankstelle. Unser Campingplatz liegt außerhalb der Ringstraße D613, die die Altstadt umschließt. Aber schon bald flanieren wir an uralten Häusern und sensationellen Anblicken der etwa 500 Jahre alten Stadt vorbei. Es ist trüb bewölkt bei 18°C, aber für unser erstes Ziel ist uns das egal: "Musée de la Tapisserie de Bayeux"
Wir sind voller Vorfreude! So viel haben wir über den berühmten Comic des Mittelalters schon gelesen und gehört und gleich werden wir das Original sehen! Wir betreten das hübsche Gebäude und werden von den Mitarbeitern freundlich begrüßt. Weil hier Maskenpflicht herrscht, lüpfen wir unsere Buffs über die Nase, während wir 10.-/pP Eintritt zahlen. Mit uns wollen noch fünf weitere Gäste das Kunstwerk bestaunen.
Wir bekommen kleine Audioguides und betreten das geheimnisvolle Dunkel. Die wertvolle Stoffbahn besitzt die Ehre, in einem eigenen Raum präsentiert zu werden! Es ist finster und gut klimatisiert. Ehrfurchtsvoll treten wir an das mittelalterliche Welterbe heran. Während sich hier sonst über 1.000 Besucher täglich eng an eng an dem Ausstellungsstück vorbeischieben, sind wir heute - wohl coronabedingt - ganz alleine da! Es ist großartig!
Knapp 70 Meter lang spannt sich die fast 1.000 Jahre alte bunte Stickerei, deren Herkunft nicht letztgültig geklärt ist. Wir flanieren langsam an den 58 Szenen vorbei, die von der französischen Eroberung Englands, also der Schlacht von Hastings im Jahr 1066 erzählen. Es spielen die germanischen Angelsachsen gegen die französischen Normannen!
Wir müssen grinsend an Sue, eine Fremdenführerin in Caernarfon/Wales denken. Sie hatte uns bei einem gemeinsamen Bier schelmisch zwinkernd erzählt, dass es ab Wilhelm mit wirklich autochtonen englischen Königen vorbei war - bis heute!
INFOBOX
Wilhelm der Eroberer, besser: Guillaume le Conquérant stammte aus einer polygamen Wikingerehe und lebte in der Normandie. Der Vorgänger des Angelsachsenkönigs Harald II. hatte ihm Jahre zuvor angeblich den englischen Thron geschenkt und diese Zusage gebrochen. Die Schlacht von Hastings sollte das Versprechen einlösen.
4.000 Tote später geht Wilhelm als Sieger hervor und erbaut noch im selben Jahr einen gewissen Tower in London. Bei seiner Krönung war es nämlich zu Volksaufständen der unterworfenen Angelsachsen gekommen. Etwa vier Jahre später soll seine Gattin Mathilda den Teppich von Bayeux in Auftrag gegeben haben, um den Triumph ihres Mannes für die Nachwelt festzuhalten. Vielleicht war es auch sein Halbbruder Bischof Odo, der an der Schlacht von Hastings teilgenommen und eitel seinen eigenen Ruhm im Sinn hatte?
626 schnurrbärtig-langhaarige Angelsachsen und kurzgeschorene Normannen betrügen, morden und metzeln einander zwischen Schiffen, Pflanzen und Pferden, während unser Audioguide nicht ohne Humor die Geschichten kommentiert. Die Körpersprache und die Mimik der Figuren, aber auch ihre Kleidung, Waffen, Uniformen und Schmuck sind so bunt und lebendig! Völlig anders, als man es von so alten Bildern kennt.
Als wir wieder ins Freie treten, erzählt uns ein Museumswärter noch Aktuelles. Die uralte Geschichte wird von Franzosen und Engländern traditionell unterschiedlich interpretiert. Nun, wenn Président Macron sicher ist, wie man das wertvolle Stück Leinen gefahrlos transportieren kann, wird er es nach 2022 nach England ausborgen. Eine Geste der Freundschaft, wie man hier hört!
Wir verlassen das Museum durch die Rue de Nesmond, als uns ein paar hübsche Tische vor Julie´s Bistro an der Straße locken. Zeit für Gedanken und Kaffee! Wir lesen auf unseren Smartphones über diese interessante Stadt, während wir schaumige Milchkaffees schlürfen und die berühmte Basilika beäugen, die gleich da vorne auf uns wartet. Angelika freut sich über das eben erstandene Souvenir: Ein hübsches Tischtuch für zuhause, das dem "Teppich von Bayeux" zum Verwechseln ähnlich sieht. Das muss (!) irgendwie ins Motorradgepäck passen!
Nachdem wir die Belegschaft des Bistros zu Lachstürmen hingerissen haben, eilen wir zur Kathedrale. Was war passiert? Wir wollten ganz weltmännisch auf Französisch die Rechnung erbitten und diskret den Lautsprecher von Google Translate aktivieren, um uns heimlich den Lautklang von "L'addition s'il vous plait!" einzuprägen. Diskret? Jedenfalls ist Julie sofort zu uns geeilt, als die französische Computerstimme "Die Rechnung, bitte!" durchs Lokal brüllte ...
Am Weg zur markanten Basilika mit ihren wuchtigen Türmen pausieren wir unter dem monumentalen "Baum der Freiheit", wie die über 200 Jahre alte Kastanie genannt wird. Sie wurde im Revolutionsjahr 1797 in den Kirchenhof gepflanzt und symbolisiert alles, was für die Einwohner von Bayeux wichtig ist: Friede, Freiheit und Stärke. Er ist einer der letzten seiner Art, obwohl es damals Mode war, Freiheitsbäume zu pflanzen. Alleine in Frankreich wuchsen in 60.000 Orten solche Siegessymbole in die Höhe! Meist Pappeln weil "peuplier" = Pappel und "peuple" = Volk...
Vor fast 1.000 Jahren wurde die Basilika erbaut und 1077 zu Ehren Wilhelm des Eroberers geweiht. Bischof vom Dienst war sein Halbbruder Odo - der Ruhm blieb also in der Familie! Wir schlendern durch das massive Gebäude und bestaunen das monumentale Bauwerk. Ein Meisterwerk romanischer und gotischer Architektur! Unfassbar, was die Menschen der damaligen Zeit zustande brachten! König Heinrich stiefelte gerade zum Papst von Canossa und der Hundertjährige Krieg war noch 250 Jahre entfernt. Unglaublich!
Nach soviel Kulturgenuß ist uns nach etwas Handfestem. Wir schlendern zur Hauptstraße von Bayeux, der Rue Saint-Martin. Erstmals fällt uns auf, wie viele - ja fast alle! - Straßen und Plätze hier nach englischen und amerikanischen Kriegshelden oder Politikern benannt sind! Bei einem guten Glas Rotwein bei "George VII." und einem starken Espresso chillen wir ausgiebig. Jetzt erst fällt uns die Vielzahl an internationalen Fähnchen auf, mit denen die Einkaufsstraße geschmückt ist.
Wir finden die winzigen Geschäfte, die pittoresken Bäckereien und Chocolaterien, die zahlreichen schmucken Boutiquen einfach zauberhaft! Wir wundern uns ein wenig über den blumigen Namen des Cafés: George VII.? Während des Kriegs war "Bertie" George VI. der von vielen geliebte König von England. Der ewige Thronfolger Charles überlegt zwar, den Königsnamen seines Opas anzunehmen aber dieses Café scheint seiner Zeit voraus.
Es wird Zeit für uns. Zeit, uns dem Thema zuzuwenden, wegen dem wir in die Normandie gereist sind und das uns auch morgen noch beschäftigen wird: Die Schlacht um die Normandie, D-Day 1944 an den Landungsstränden, Overlord. Wir spülen das letzte Keks mit einem Schluck Rotwein hinunter und machen uns auf den Weg Richtung "Musée Mémorial de la Bataille de Normandie".
Als wir durch den Park "Charles de Gaulle" eilen (übrigens einer von 3.633 öffentlichen Plätzen in Frankreich, die diesen berühmten Namen tragen!), fängt es zu nieseln an. Wir beschleunigen unsere Schritte und stehen bald gutgelaunt vor dem Museum, das an die Schlacht in der Normandie 1944 erinnert. Schon vor dem modernen Eingangsportal schauen wir in die Kanonen einiger gut restaurierter Panzer.
Das Memorial Museum ist das einzige Museum, das alle militärischen Operationen zeigt, die in den Sommermonaten 1944 auf normannischem Boden stattfanden. Ein Besuch vor der Fahrt zu den Landungsstränden des D-Day wird empfohlen und darum haben wir das auch so geplant. Auch hier sind wir - coronabedingt - fast die einzigen Besucher. Darf man es laut sagen? Wir finden das toll! Kein Gedränge, keine Warteschlangen und so viel Zeit, alles in Ruhe zu lesen und zu schauen.
Keine Angst, wir machen hier keinen Geschichtsunterricht! Die Ereignisse um die Operation Overlord und den D-Day können wir als bekannt voraussetzen, oder? Kaum eine Schlacht aus dem Zweiten Weltkrieg wurde öfter verfilmt und beschrieben...
INFOBOX
Ab 6. Juni 1944 standen unter der Leitung des Amerikaners Eisenhower eine alliierte Streitmacht aus Briten, Kanadiern und später auch anderen dem NS-Regime unter Hitler und Rommel gegenüber. Premierminister Sir Winston Churchill hatte eine Anti-Hitler-Koalition zustande gebracht. Die jahrelang geplante Operation startete mit der Invasion an der Normandieküste, dem D-Day.
Um 5.45 Uhr eröffneten die Alliierten das Feuer auf deutsche Stellungen an der Küste. (Die Uhrzeit hatte der geschichtsbewusste Churchill im Gedenken an den Kriegsbeginn ausgewählt!) In den frühen Morgenstunden erreichten etwa 6.000 amerikanische und englische Schiffe die Normandieküste - nicht Calais, wie die NS-Führung angenommen hatte - und die seekranken Soldaten gingen an Land. Sword, Juno, Gold, Omaha, Utah und Pointe du Hoc nannten sie die Strände, die heute noch diese Namen tragen. Wir werden morgen dorthin fahren...
Schon am nächsten Tag wurde in Arromanche mit "Mulberry B" ein künstlicher Hafen errichtet, der aus Gründen unter dem Namen "Port Winston" bekannt wurde. Den werden wir morgen auch besichtigen!
Ebenfalls am Tag nach der Invasion wurde Bayeux befreit und vom schlitzohrigen General de Gaulle - gegen den Willen von Roosevelt - zur Hauptstadt Frankreichs unter seiner Leitung erklärt. Die Stadt war wie durch ein Wunder völlig unversehrt geblieben! Die Bevölkerung feierte allerortens die Befreiung vom NS-Regime und die Rückkehr ihres Generals enthusiastisch.
Das furchtbare Gemetzel dauerte etwa 7 Wochen und endete am 25. August 1944 mit der Befreiung von Paris. Die Stadt war - entgegen dem Hassbefehl Hitlers - nahezu unzerstört den Alliierten übergeben worden. Die Zahl der Gefallenen der Operation Overlord wird unterschiedlich genannt, sie geht in die Abertausende. Bis heute gibt es auch keine offizielle Toten-, Verwundeten- und Vermisstenstatistik für den "D-Day". Dieser Tag war der Anfang vom Ende des NS-Terrorregimes in Europa.
Wir schlendern lange durch die vielen Säle der Ausstellung, in denen vor allem General de Gaulle und Sir Winston Churchill gehuldigt wird. Zumindest ist das unser Eindruck. Die Vielzahl der Geräte, Uniformen und Dokumente ist für uns Geschichteinteressierte nicht neu. Viel spannender finden wir die übergroßen Schautafeln, die schreckliche Ereignisse des 6. Juni 1944 und der Folgetage erzählen. Wir können einige Wissenslücken schließen und die Tatsache, hier an den Orten der Geschehnisse zu sein, bringt uns die Geschichte plötzlich sehr nah.
Viele der Dörfer, aus denen grauenvolle, aber auch lustige und ergreifende Anekdoten erzählt werden, besuchen wir morgen. Wir sind von der Wucht der Geschichte und wie sie hier präsentiert wird, fast erschlagen, als wir das Museum verlassen. Kino und Café haben coronabedingt geschlossen, also ziehen wir zwei Becher dampfenden Cappuccino aus dem Automaten und setzen uns zu den Panzern vor dem Eingang. Pause!
Während wir über das Gesehene diskutieren, sehen wir die weißen Grabsteine und Stelen eines enormen Friedhofs durch die Bäume schimmern. Ein Blick in die Karte zeigt uns, dass Frankreichs größter britischer Soldatenfriedhof gleich da drüben ist! Wir spülen den letzten, kaltgewordenen Schluck Kaffee aus dem Pappbecher hinunter und stiefeln los.
"Wir, die wir einst von Wilhelm [Anm.: des Eroberers] besiegt wurden, haben nun das Heimatland des Siegers befreit." Diese stolze Inschrift haben die Briten über dem gewaltig großen Mahnmal angebracht. Auch Albert Schweitzers Aussage ist hier allgegenwärtig: "Soldatenfriedhöfe sind die besten Prediger des Friedens."
Jetzt gehen wir andächtig durch die mit absurd-geometrischer Genauigkeit ausgerichteten Reihen strahlend weißer und identer Grabsteine. 4.000 Briten sind hier seit 1944 begraben, nur wenige älter als 19 Jahre - wie Didi nachdenklich bemerkt. Die meisten haben den ersten Tag, den D-Day nicht überlebt. Manche schmückt ein kleiner Blumenstrauß, eine rote Mohnblume oder gar ein kleiner persönlicher Brief von Angehörigen. Es ist schwer, hier nicht ergriffen zu sein. Uns gelingt es nicht. Während Didi an seinen Sohn zu Hause denkt und immer schweigsamer wird, verflucht Angelika ihre Marotte, jeden - wirklich jeden - Tag hübschen Mascara aufzutragen...
Ein Satz auf einem Grabstein hat sich uns eingebrannt. Eine Mutter hatte auf das Grab ihres 18jährigen Buben eingravieren lassen: "Weint nicht. Er ist nicht umsonst gestorben." Worte wie ein Donnerhall. Schweigend und mit einem Kloß im Hals starren wir auf den Wahrspruch, unsicher ob er Trost vermittelt. Unsere Welt wäre eine andere, wären diese jungen Männer nicht letztendlich erfolgreich gewesen.
Es ist Zeit zu gehen. In ruhiger Stimmung spazieren wir in die hübsche Altstadt zurück. Langsam meldet sich der Hunger und wir halten die Augen offen! Wir stiefeln an der Kathedrale vorbei in die "Straße der Köche". Gute Idee, oder? Es dauert auch nicht lange und wir finden eine allerliebste, winzige Crêperie mit einem entzückenden Innenhof. Ein freundlicher Familienbetrieb! Hier bleiben wir.
Wir sind müde, als wir auf gut Glück unsere ersten bretonischen Galettes bestellen. Wir lernen den Unterschied zu Crêpes (Memo to self: Buchweizenmehl) kennen, als wir wahllos einige Variationen aus der Speisekarte bestellen und hungrig in uns hineinmampfen. Didi schmeckt das vollkommen überteuerte belgische "Leffe"-Bier und Angelika hat das leckere, giftgrüne "Diabolo Menthe" für sich entdeckt. Wir versickern lange in diesem hübschen Lokal...
Morgen fahren wir zu den Landungsstränden!
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