Es ist 8.30 Uhr und die Sonne scheint schon vom wolkenlosen Himmel. Wir sitzen mit einem Häferl Kaffee vor unserer Hütte und schauen uns zufrieden an. Irgendwie macht sich das Gefühl eines Sommerurlaubstags breit! Obwohl es nur 8°C hat und unsere Hondas mit dicken Wassertropfen überzogen sind, die im Sonnenschein glitzern. Hat es geregnet oder ist das nur Morgentau?
Auf jeden Fall müssen wir die Transalps sorgsam trockenwischen, um keinen nassen Po zu bekommen! Wir haben heute nur eine sehr kurze Fahrt vor uns und es soll warm werden. Angelika hängt kurzentschlossen die Motorradjacke wieder an den Haken. Die bleibt heute zu Hause! Stattdessen zieht sie ihr neues pinkfarbenes T-Shirt mit der Aufschrift "Mont Saint Michel" über. Das hat heute Premiere!
Genug gefaulenzt! Um 10.30 Uhr bollern wir vom Campingplatz, neugierig beäugt von den Nachbarn. Die Straße nach Guérande führt direkt hier entlang und es sind nur 4 km bis zu den berühmten "Salzgärten von Guérande"! Die frische Morgenluft auf der Haut ist kalt aber es ist ja nicht weit. Nur kurz durch den Wald und durch ein winziges Dorf und schon fahren wir, wohin uns die Schilder weisen: Terre de Sel, das Besucherzentrum!
Der Parkplatz ist schwach besetzt und wir platzieren die Hondas dorthin, wo wir in Bälde Schatten vermuten. Schon auf den ersten Blick sehen wir, wie fremd uns diese Sumpfgegend ist. Wir haben schon so viel über die Marais und ihre Salzgärtner gelesen¹, aber es noch mal eine andere Geschichte, genau hier zu stehen!
INFOBOX
Kommissar Dupins 3. Fall handelt vom "Bretonischen Gold", dem wertvollen Fleur de Sel! Die teuren Salzflocken werden seit Jahrhunderten von den altehrwürdigen Familien der Salzbauern, den Paludiers, aus dem Meerwasser geschöpft. Es gibt keinen besseren Reiseführer, um alles über die Umstände hier zu erfahren, als diesen Krimiroman!
Langsam fließt das Meerwasser durch ein verwobenes Mosaik aus vielen Becken, bis Wind und Sonne nach und nach das Wasser verdunsten lassen. Mit Feingefühl und Erfahrung regeln die Paludiers die Wassermengen in den Becken. Das Fleur de Sel ist die „Blume des Salzes“. Sie wird vorsichtig vom restlichen Salz abgehoben und ist besonders fein im Geschmack. Das Museum „Terre de Sel“ erklärt anschaulich die Salzernte in Guérande und ihre Tradition.
(in: https://www.kiwi-verlag.de/buch/jean-luc-bannalec-bretonisches-gold-9783462048407)
Schnell haben wir verstanden, wie das hier läuft. Die Salzfelder, die rund um uns liegen, sind Privatgrund und Betreten ist ausdrücklich verboten! Ärgerlich, aber wir verstehen das. Also stiefeln wir in das weitläufige und moderne Besucherzentrum, in dem bereits einige Interessierte die Ausstellungsstücke betrachten. Wir werden einfach eine kleine Führung buchen! Auch wenn wir kein Wort des Französischen verstehen werden - wir müssen unbedingt die Salzfelder aus der Nähe sehen, die hier bis zum Horizont reichen!
Auf den kleinen Bildschirmen werden verschiedene Themenführungen angeboten. Wir nehmen eine kurze Runde "Allgemeines", Dauer 45 Minuten. Das reicht uns sicher. Nach der Zahlung von 19.- haben wir etwas Zeit. Wir schlendern durch die kleine Ausstellung und Angelika kauft im Shop eine Packung weicher Milchbrötchen. Die Packung reisst sie noch vor der Kasse auf, das fehlende Frühstück rächt sich spätestens jetzt!
Mampfend warten wir nun vor dem Eingang auf unseren Guide, der uns die nächste Stunde begleiten wird. Beim gut beschrifteten "Meeting Point" sammeln sich langsam einige Leutchen. Wir sind letztendlich zu zehnt, als Nicolas auf den Plan tritt. Der coole Paludier ist von hünenhafter Erscheinung. Er macht sich mehr Sorgen als wir, dass wir ihn nicht verstehen werden. Sehr sympathisch!
Und schon stapfen wir los. Wir müssen nur den schmalen Zufahrtsweg überqueren und stehen schon mitten im Geschehen. Es ist grandios! Rund um uns breiten sich 2.000 Hektar große und kleine Salzbecken aus, manche mehr und manche fast nicht mehr mit Wasser gefüllt. Kleine Erddämme trennen die Felder voneinander und jeden kann man händisch mit einem kleinen Holzbrett öffnen und schließen. An manchen Ecken türmt sich ein kleiner Berg von strahlend weißem Salz in der Sonne.
INFOBOX
Wie geht das nun mit der Salzgewinnung direkt aus dem Atlantik? Wie kommen die Paludiers zu ihrem "Bretonischen Gold"? Nun, die Arbeit dauert das ganze Jahr.
Über den Winter haben sie ihre Felder gewartet, die Dämme repariert und alles in Ordnung gebracht. Im Frühjahr lassen sie die Flut ihre Gärten überschwemmen bis auch der letzte Winkel mit etwa 18°C warmen Wasser gefüllt ist. Nun wird mit Sonne und Wind gespielt und das Meerwasser hin- und hergeleitet, bis bei 37°C Wassertemperatur die langsame Verdunstung einsetzt. Das ist täglich harte Arbeit und nur ein kleines Missgeschick kann alles ruinieren! Regen ist ganz gefährlich, denn der verdünnt die Sole wieder und alles beginnt von vorne...
Im September beginnt dann die Ernte. Vorsichtig wird mit großen Rechen in ganz sachten Bewegungen das Wasser bewegt und das Salz an die Oberfläche geholt und abgeschöpft. Die Paludiers schaffen pro Tag etwa 70 Kilogramm pro Becken! Hier geschieht rein gar nichts mechanisch oder chemisch, alles per Hand!
Und wenn alles stimmt und alles gut geht, dann bildet sich in der heißen Sonne bei Windstille eine dünne weiße Kruste aus Salzflocken. Das Fleur de Sel, die Salzblume! Ganz vorsichtig wird die vom Wasser abgehoben. Bricht etwas und geht es unter, ist es für immer verloren. Pro Becken kann ein Salzbauer 2-3 Kilogramm gewinnen - wenn er Glück hat. Insgesamt beläuft sich der Ertrag eines Paludiers bis zu 60 bis 90 Tonnen Meersalz und nur 2 bis 3 Tonnen Fleur de Sel pro Jahr!
Nicolas erzählt mit viel Witz und Charme seine Arbeit. Er stammt aus einer sehr alten und traditionellen Paludier-Familie! Wir schlendern mit ihm quer über die Sümpfe. Überall lehnen fremdartige Geräte an den Beckenrändern. Schau, da drüben! Nicolas ruft einem Mann freundschaftlich etwas zu. Der Arbeiter winkt herüber, während er vorsichtig mit seinem Rechen das Salz aus dem Meerwasser holt. Langsam und bedächtig, wie seine Vorgänger schon hunderte und tausende Jahre zuvor (>> Clip).
Wir lauschen Nicolas, wie er uns die Funktion seiner Geräte erklärt. Lauschen? Nun, wir haben uns unauffällig in die Nähe eines jungen Mannes platziert, der den Vortrag leise aber fließend und synchron für seinen alten Vater übersetzt. Nun heizt die Sonne kräftig auf die schattenlosen Sümpfe und wir dürfen noch verschiedene Stadien des berühmten Guérande-Salzes kosten, von schmutzig-braun bis zum noblen "Fleur de Sel"!
Die Führung geht allzu schnell zu Ende und wir latschen zufrieden wieder zurück zum Besucherzentrum. Wir loben Nicolas für seinen großartigen Vortrag und er grinst breit unter seinem Vollbart. Hände und Füße - die universelle Sprache!
Es ist späte Mittagszeit, als wir diesen schönen Ort verlassen und mit den Hondas Kurs auf Guérande nehmen. Zuvor hatten wir noch die kleine Ausstellung und den ausladenden Shop im Besucherzentrum aufgesucht. Na das ging sich gerade noch aus, dass wir unsere fette Beute für besonders liebe Freunde und Familie ins Gepäck quetschen konnten! Wenn das so weiter geht, haben wir mehr Geschenke als Reisegepäck an Bord!
Es sind nur wenige Minuten auf der Landstraße ins Zentrum von Guérande. Wir haben Hunger bekommen, als wir die Hondas auf den großen - und heute am Samstag - gut gebuchten Parkplatz paddeln. Oh, hier ist es wunderschön! Eigentlich wollten wir uns dort drüben im Supermarkt "Carrefour" einen kleinen Frühstückssnack besorgen, aber jetzt entdecken wir die einladend blauen Plastiksessel beim winzigen "L´Escale Point Chaud". Genau gegenüber dem monumentalen Porte Saint-Michel, hinter dem sich die Altstadt versteckt.
Ein winziger Fresstempel namens "Hot Spot!" Nur einen Augenblick später stehen wir an der Theke und ordern verschiedene Leckereien, deren Namen wir nicht kennen und deren Zutaten wir nicht übersetzen können. Aber der quirlige Franzose präsentiert uns auf bunten und sorgsam folierten Bildern verschiedene gefüllte Baguettes und für uns zählt jetzt nur das Äußere. Innere Werte? Pah! Nicht hier und jetzt. Der Mann am Grill klatscht erfreut in die Hände und lacht uns freundlich "Oui, oui, juste un moment!" zu, als er sich an die Arbeit macht.
Wir sitzen draussen und betrachten gerade die massive Stadtmauer aus dem 15. Jhdt., die - wie in Concarneau - hier den historischen Stadtkern umschließt, als uns der Chef zwei unterarmlange, dampfende Baguettes hinstellt. Meine Güte, wie das duftet! Wir haben unter anderem eine Füllung aus zartem Ziegenkäse mit Rauchschinken und Honig erwischt! Und Nüssen! Die Baguettes schmelzen im Mund, es ist einfach zu lecker, was der kleine Mann hier auf seinem Grill zaubert.
Wir legen noch eine Portion nach, bevor wir uns aufraffen können, diesen hübschen Platz zu verlassen. Es sind nur 7 km zurück zum Campingplatz und Angelika genießt den kühlen Fahrtwind auf der Haut. Es hat 25°C bekommen und das kommt uns heute ziemlich warm vor!
Wir sind müde geworden. Es waren so viele Eindrücke die letzten zwei Wochen! Aber heute nachmittag haben wir frei und wir nutzen die Chance auf eine lange Pause. Schnell zerren wir die Gartenstühle vor der Hütte in die Sonne und ziehen uns etwas Bequemes an. Ach, ist das klasse! Einfach im Sonnenschein dösen und nix tun! Nur die Blumen und die Bäume beobachten, von denen ab und zu mit lautem Knall ein Apfel auf die Blechdächer der Hütten stürzt ...
Um 19.00 Uhr ist es so weit. Wir werden erwartet! Wir machen uns so präsentabel, wie möglich. Das ist das Gute wenn man jeden Tag woanders ist. Die Leute wissen nicht, dass man jeden Abend das gleiche Outfit trägt! Wir eilen wie gestern den schmalen Pfad entlang und quer über den Campingplatz "Sainte Brigitte". Heute essen wir bei der Konkurrenz, wir sind eingeladen!
Der Grillabend ist schon in vollem Gang und wir werden mit großem Hallo begrüßt! Ein kleiner Tisch ist hübsch eingedeckt und der heitere Chef serviert uns umgehend bergeweise leckeres Grillgut. Als der Abend immer lustiger wird und die reiferen Leutchen schon völlig entfesselt zu "Voyage, voyage!" tanzen (wie passend für uns!), tritt ein distinguiert wirkender Brite an unseren Tisch, um uns persönlich zu begrüßen. Er trägt Anzug, Hals- und Stecktuch und zwei zwergenhafte Hündchen auf dem Arm, ausserdem den Habitus eines "Nobleman". Der Chef des Campingplatzes!
Wir haben mit ihm einen wunderbaren Abend mit gemeinsamen Erinnerungen an seine Heimat Portsmouth. (Wir waren doch auf Tour 2010 dort!). Seine große Liebe "La Brigitte" aus Guérande, die er vor 40 Jahren geheiratet hat, seine Immigration und sein zweites Leben hier als Chef eines feudalen Campingplatzes. Als wir zu sehr später Stunde nach einer gerüttelt Menge Pastis zu unserer Hütte stiefeln, sind wir zufrieden mit uns und der Welt. Nur warum wir von heute Abend kein einziges Foto gemacht haben, wird immer ein Rätsel bleiben...
Gute Nacht, Guérande!
Tageskilometer: 15 km
Morgen verlassen wir die Atlantikküste: >> klick
¹) Bannalec, Jean-Luc (2015): Bretonisches Gold, Dupins 3. Fall, Kiepenheuer & Witsch, Köln.