6. Tag: Møn - Nyord

Als wir um 7:30 Uhr auf unserer Terrasse sitzen, liegt ein Schatten über unserer Stimmung. Trotz wolkenlosem Sonnenschein, den motorradfreundlichen 23°C, den noch ofenwarmen Weckerl zum Frühstück. Heute ist unser letzter Tag auf der geliebten Insel Møn! Doch beim dritten Kaffee gelingt es uns, die trüben Gedanken an die Heimreise zu verscheuchen. Auf geht´s! Wir haben noch ein Abenteuer vor uns!

Wir beeilen uns und rollen um Punkt 11:00 Uhr bei der Rezeption vor. Da drüben hüpft Svenja gerade auf ihre kleine Enduro, giftgrüner Kultstar vieler Reiseberichte, und rollt winkend den Hügel herunter! Wir sagen es ihr nicht, aber wir sind so dankbar. Um diese Uhrzeit wäre sie von ihrem Tagesausflug vermutlich schon fast zurück! Aber sie nimmt Rücksicht auf uns Langschläfer und richtet sich ganz nach unserem Zeitplan, was nicht selbstverständlich ist... Hoffentlich hat sie ausreichend Lesestoff mit!

Unser Tagesziel ist klar: Nyord! Das winzige Eiland, gegen das sich die Insel Møn wie ein ganzer Kontinent ausnimmt. Ein Besuch von Møn ist nicht vollständig, ohne auch Nyord Sogn gesehen und den drei Dutzend Einwohnern einen Besuch abgestattet zu haben.

Svenja fährt wieder voraus und wir nehmen einen kleinen Pfad vorbei an Schloß Liselund. Diesen Weg kennen wir noch gar nicht, aber er schwingt in pikanten Kurven Richtung Westen. Über winzige Bauenweiler wie Stubberup, Alebæk und Ny Borre erreichen wir die Elmelunde Kirke.

Das weißgetünchte Gotteshaus leuchtet im Sonnenschein und ist weithin zu sehen. Wir haben die Kirche und ihre ergreifenden Fresken schon mal besucht und deshalb belassen wir es bei einem liebevollen Blick auf das Gebäude. Achtung! Svenja guckt auf ihr Navi und biegt schwungvoll rechts auf einen kaum erkennbaren Güterweg ein. Vermutlich eine Privatstraße.

Heimlich fragen wir uns, ob wir hier richtig sind, ob am Ende Nyord liegt oder wir einfach nur in die Ostsee stürzen oder in einem Kuhstall stehen. Der Weg wird immer enger und schmutziger und wir zangeln unsere druckfrischen Transalps vorsichtig hinter "Greeny" her. Oben am Hügel angekommen erwartet uns eine kleinlaute Svenja. Sie deutet ins dornige Unterholz, wo sich der grobe Schotterweg verliert. Ob wir da längs fahren sollen? Trotz des Fahrverbots?

Die Enduro-Queen sollte mal ein ernstes Wort mit ihrem Navi reden! Nicht, dass man diesen Irrweg durch einen wilden Ritt durchs Unterholz nicht korrigieren könnte. Aber unsere schönen Transalps sollen ihre ersten Schrammen nicht ausgerechnet auf einer harmlosen dänischen Insel erleiden! Wie peinlich wäre das denn? Kehren wir lieber um. Es gibt bessere Wege nach Nyord, wie wir wissen!

Svenja nimmt uns unser Zögern nicht übel. Uns ist klar, dass sie auch auf dem Strand nach Nyord fräsen könnte! Nicht einmal aufkommende Flut wäre ihr dabei ein Hindernis (>> Clip, für Eilige ab 4:25)! Aber solche Experimente sind für uns Bergvolk eine ganz andere Nummer. Angelika gibt jetzt das Führungsfahrzeug und wir bollern weiter. Sie hat weder Navi noch Karte aber den Weg nach Nyord ziemlich gut im Kopf.

Die Sonne strahlt vom dunkelblauen Himmel und die Felder links und rechts stehen in voller Reife. Was ist das für ein überwältigender Tag heute! Über winzige Dörfchen wie Torpe, Ullemarke und Udby erreichen wir Ulvshale. Die kleine aber sehr touristische Siedlung mit dem Badestrand markiert das Ende des bewohnten Møn.

Nun rollen wir durch den kleinen Urwald mit den im Unterholz verstreuten Ferienhäuschen. Mist, die Ampel zeigt Rot! Wir müssen einige Augenblicke auf die Überfahrt warten. Über die einspurige Brücke geht es ins Marschland der Insel Nyord.

Links und rechts breiten sich die Salzwiesen aus und rechts am Horizont ist die wuchtige Kirche von Stege erkennbar. Ein paar schwarzweiße Kühe bilden malerische Farbflecke im flachen Ödland.

Nur, was ist mit Angelika los? Sobald sie das Ende der Brücke erreicht hat, zieht sie übermütig am Gas. Die Transalp brüllt auf und jagt mit der Power von 92 PS im gestreckten Galopp über die Salzwiesen! Der schmale Weg führt in einer weiten Kurve Richtung Nyord Sogn und auf der langen Geraden beschleunigt sie den SPORT-Modus bis weit jenseits von "erlaubt" oder "vernünftig"!

Nur Augenblicke später rollt sie auf den kleinen Parkplatz vor dem Örtchen. Vor Begeisterung kichernd erwartet sie Didi und Svenja, die diesen Stunt grinsend mit einem Kopfschütteln quittieren. Die neuen Transalps sind dermaßen tolle Motorräder! Dafür haben die Dänen doch sicher Verständnis!?

Es ist Punkt 12:00 Uhr, als wir in das Dörfchen stiefeln. Nyord Sogn ist Fußgängerzone! Wir suchen ein hübsches Plätzchen für Mittagessen. Gleich am Ortsanfang entdecken wir "Ragnhilds Gaard", einen preisgekrönt renovierten, weißgekalkten Bauernhof mit Reetdach und wunderschönem Innenhof. Hier bleiben wir! Kaum haben wir uns an das kleine Tischchen gepflanzt, eilt auch schon ein gutgelaunter junger Mann herbei, der eine kleine Speisekarte präsentiert.

Könnt ihr euch vorstellen, wie glücklich wir sind? Didi und Svenja mampfen gebratene Leber mit Kartoffeln und Zwiebeln, während Angelika auf ein Spargel-Pilzomelette vertraut.

Der hübsche Innenhof des 300 Jahre alten Gebäudes leuchtet weiß im Sonnenschein und die blühenden Blumen ergänzen das schöne Ambiente. Als man uns dann auch noch die geschmackvollen Zimmer zeigt, die mit hellen Holzmöbeln eingerichtet auf Gäste warten, sind wir begeistert. Wortlos verständigen wir uns mit Blicken: Hier zu übernachten, das wäre doch mal ein Plan für die Zukunft?

Ein kleiner Verdauungsspaziergang führt uns in die achteckige Kirche und hinunter zum Hafen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass das pittoreske Nyord Sogn ein Museumsdorf ist. Aber nein, hier leben 43 Einwohner fernab von der Geschäftigkeit Møns, die sich ehrlicherweise auch in Grenzen hält. Dänemark das Paradies der kleinen Dinge.

Nichtige Nebensächlichkeiten sind hier sehenswert, wenn man ein offenes Auge für Kleinigkeiten hat. So vertieft sich Angelika ins geschäftige Treiben von winzigen Garnelen, die an der Wasserkante aufgezogen werden und wir beobachten den sanften Wellengang, der die weißen Segelboote schaukeln lässt. Während Svenja historische Informationen über diesen Ort studiert, spazieren wir noch ein wenig herum.

Wir haben den Wunsch nach Kaffee und Kuchen! Und wo, wenn nicht beim Café des Noorbohandelen, gibts den besten? Das Café bietet eine Whiskydestillerie und eine Senfmühle und natürlich erstehen wir - so wie immer - hier leckere Souvenirs für die Lieben daheim. Nur für Svenja kaufen wir ausnahmsweise nichts. Die steht nämlich diesmal neben uns und nimmt unseren Kaufrausch stoisch zur Kenntnis.

Nach der Kaffeepause gibt es hier nichts mehr für uns zu tun und wir stiefeln zu unseren Motorrädern. Angelika beschäftigt eine Frage intensiv. Keine Ahnung, warum es seit vorgestern niemand erwähnt hat? War nicht schon vor Monaten ein kleiner Motorradtausch ausgemacht? Svenja wollte Angelikas Transalp testen und Angelika war immer schon neugierig, wie sich die kleinen 250er-Gatschhupfer anfühlen... Jetzt ziehen wir das durch!

Die Nervosität der Gruppe steigt sprunghaft an, als sie ihrer Freundin das völlig übertriebene Display der Transalp 750 erklärt und großzügig den SPORT-Modus aktiviert. Full Power für Kiel! Gleichzeitig klettert sie auf die kleine kultige Kawasaki, heilfroh, aus dieser Höhe mit den Zehenspitzen gerade noch den Boden zu berühren. Svenja spielt bei der Körperhöhe in einer völlig anderen Liga! Nun, das Fahren wird schon gehen. Fürs Stehenbleiben überlegen wir uns etwas, wenn es so weit ist!

Angelika hofft inständig, sich vor Publikum nicht wie der letzte Vollhonk aufzuführen. "Greeny" und ihr Ego haben das nicht verdient! Aber alles scheint gut und wir zuckeln vom Platz. Svenja steht die wuchtig wirkende Transalp ausgezeichnet!

Sie bollert schon voller Selbstvertrauen Richtung Stege während Angelika mit dem Knöpfchen 250ccm zum Leben erweckt. Schon auf den ersten vorsichtigen Metern kann sie sich das Kichern im Helm kaum verbeissen. Himmelherrgott, dieses Dingelchen fährt sich lustig! Noch nie saß sie auf so einem leichten, kleinen und fragil wirkenden Motorrad, das mit 22 PS so ehrgeizig vorwärts schiebt. (Eigentlich fuhr sie in den letzten 35 Jahren noch nie weniger als 500ccm...)

Dass Didi und Svenja bereits weit voraus gefahren sind, während sie mit 80 km/h am Gas hängt, stört sie nicht! Dieses Tempo fühlt sich bei so wenig Gewicht (der Kawasaki, nicht von Angelika!) ziemlich rabiat und wackelig an! Während sie geduckt und mit Vollgas versucht, sich nicht abhängen zu lassen, wächst in ihr die Hochachtung.

Wie krass muss man drauf sein, mit "so wenig" Motorrad im Alleingang die Einsamkeit der Finnmark, Nordnorwegen und andere ungemütlichere Ecken zu erforschen? Es lässt sich nicht leugnen: Für Angelika bringt eine Reiseenduro mit >50 PS ein Plus an Sicherheit und Zuvertrauen. Aber Svenja kann und liebt Offroad und dafür ist dieses "Ackermofa" auch gebaut! Für 1000 km in zwei Tagen nach Wien eher nicht.

Didi fährt voraus und wir wetzen hinterher durch das Urwäldchen bei Ulvshale und Angelika hofft, dass Svenja auf der Transalp mindestens ebensoviel Spaß hat wie sie! Schon sind wir in Stege und Didi hält bei einer kleinen Tankstelle. Svenja hüpft sportlich von der Honda, während Angelika langsam und vorsichtig ausrollt und eine gute Stelle zum Absteigen sucht. Sie fühlt sich wie ein Jäger auf dem Ansitz, während sie anhält und herunter klettert.

Svenja ist voll der Superlative und überwältigt von der Kraft der 92 PS während Angelika ebenso fasziniert von der Leichtigkeit und Wendigkeit der kleinen Kawasaki ist. Was für eine ungewöhnliche Erfahrung! Wir fachsimpeln ausgiebig und stellen fest, jede von uns hat genau das Motorrad, das ihr und ihren Reisen entspricht. Aber das wussten wir schon vorher.

Die letzten 20 km bis zum Campingplatz erledigen wir in einem Rutsch. Es hat heute nachmittags am 6. September knapp 30°C. Erstaunlich, dass der Sommer im Norden so lange anhält! 

Ein letztes Mal kommen wir an den beachtenswerten Kirchen von Borre und Elmelunde vorbei. Für heute muss ein kurzer Blick genügen, besichtigt haben wir sie beide schon ausgiebig. Warum das Gotteshaus von Borre "Straßenkirche/Vejkirke" genannt wird, erschließt sich uns nicht. Soll das auf eine besondere Funktion hindeuten?

Für den letzten Abend auf Møn hat Svenja eine kleine Überraschung geplant! Didi hat übermorgen Geburtstag und sie will uns zum Pizzaessen einladen! 

So vereinbaren wir, dass wir uns um 18:00 Uhr beim Campingrestaurant treffen. Genug Zeit, um Fotos und Filme auf die Festplatte zu laden und sich ein wenig frisch zu machen.

Wir haben schon das meiste von unserem Zeug gepackt, als wir im Restaurant auf unsere Pizzas warten. Es ist kein schöner Sitzplatz mehr frei und im Gastgarten ist es ungemütlich kalt. Im Schatten merkt man schon den nahenden Herbst. Daher tragen wir schnell entschlossen die Kartons in unsere Hütte. Wir haben auch eine Flasche guten Wein mitgenommen und Didi peppt die Mampferei mit einem kleinen Salat auf. Fürs gute Gewissen!

Obwohl alles perfekt ist, will eine ausgelassene Stimmung nicht so recht aufkommen. Der morgige Abschied rückt näher und wir brauchen gut drei Tage für die Heimfahrt. Svenja aber setzt ihre Rundtour über mehrere dänische Inseln fort. Um 21:30 Uhr beenden wir den gemütlichen Abend, nicht ohne uns für morgen zu verabreden! Vielleicht fahren wir in der Früh gemeinsam weg?

Tageskilometer: 63 km

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Kleine Abenteuer

Welch ein schöner Tag

Der Motorradtausch war wirklich eine coole Aktion. Ich freu mich, dass ich mal eine Transalp fahren durfte. Eure Hondas haben dermaßen Power. Meine Güte, kein Wunder, dass ihr damit im Expresstempo von Wien nach Dänemark düsen könnt. Und bequem wie ein Ohrensessel sind die auch noch. Wenn man da eine Zündkerze rausdreht, hätte man dann einen Einzylinder mit beherschbarer Leistung? Die Power hat mich nämlich echt erschreckt.

Du dagegen hast Greeny würdevoll über die Insel bewegt. Was die Transalps zu viel haben, gleicht Greeny mit ihren 22 PS mühelos aus. Man kommt ja trotzdem an. Bloß später...
Du schreibst es schön: Wir haben genau die Motorräder, die uns entsprechen. Find ich auch!

Greeny ist nicht "wackelig". Die ist nimble! :-)))
...und ein bisschen wackelig, ok.

Die gebratene Leber in Nyord war schon besonders, oder? So ein gutbürgerliches Essen, kein Schickimicki, sondern echtes Essen.

Dort könnte man tatsächlich mal übernachten. Vielleicht gibts da auch Frühstück? Dann komme ich euch morgens besuchen, nachdem ich aus dem Zelt am Museumsdorf gekrabbelt bin und Nyord gefunden habe.

Welch ein schöner Tag das war. Der Spätsommer in Dänemark ist toll und dänische Inseln sind es auch.
Noch sind wir jung und können alles machen...

Antw.:Welch ein schöner Tag

Ich erinnere mich so gerne an diesen Tag. Das war schon was Besonderes. :-)))
Und ich bin immer noch dankbar, dass du mir das "Ackermofa"! anvertraut hast. Was für eine verrückte Erfahrung! Nimble, ja. Und wackelig! ^^
Geli

PS.: Wir sind noch lange jung und was wir an Kraft nicht mehr können, machen wir durch Wahnsinn und Selbstüberschätzung wett!

Nyord

Danke für den Bericht! Nyord ist eine Entdeckung, die mir sehr gefällt. Sollte ich jemals in diese Ecke kommen, schau ich mir das an.
Noch bin ich eher auf Süden gebucht, aber ich lese eure Berichte aus dem Norden sehr gerne!
LG Mischa

Antw.:Nyord

Dankeschön! Die größte Freude für uns ist, wenn andere Motorradfahrer unsere Reisen zur Inspiration lesen. :-)
LG Geli

22 ps

hallo!
ich lach mich tot bei der beschreibung von angelika auf svenjas kawasaki! solche enduros sind für ihren artgerechten einsatz genau richtig.
bist du tatsächlich noch nie mit so einem motorrad gefahren?
dlzg
der rider

Antw.:22 ps

Nö, bin ich tatsächlich noch nie. Ich weiß doch, wofür man diese Gatschhupfer nimmt, doch das war (bisher) nie meine Leidenschaft auf zwei Rädern.
Aber lustig war das Erlebnis allemal! Und eine große Ehre, Greeny Probe fahren zu dürfen. :-)
LG Geli

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zuletzt aktualisiert am 13.11.2024