27. Tag: Kiel - Hamburg (Autozug)
Wir stiefeln eilig durch die Kieler Altstadt. Es ist jetzt am Vormittag schon grenzwertig warm und wir schleppen unsere Motorradjacken über dem Arm. Das hübsche Zimmer im B & B haben wir bereits geräumt, jetzt gibts gleich Kaffee! Ein Croissant-Frühstück mit Svenja und Claudia hat schon lange Tradition, ebenso wie das Sackerl Gifflar, das sie uns als Proviant zustecken. Ein schöner Brauch! Beides!
Es gibt noch so viel zu erzählen, dass uns die Zeit viel zu kurz wird. Doch am Nachmittag müssen wir los! Wir holen die Transalps aus der Tiefgarage und starten nach Hamburg. Solche Abschiede bringt man am besten wie "Pflaster abreissen" hinter sich. Aber wir freuen uns schon auf Herbst, wenn wir uns auf der Insel Møn wieder treffen. Auch schon eine schöne Tradition!
Um 16:15 Uhr stehen wir am Bhf. Hamburg-Altona in der Wartespur. Natürlich sind wir die ersten und natürlich wieder mal viel zu früh! Doch wir legen hier zum ersten Mal nicht mit der ÖBB sondern mit dem privaten UEX ab und wer weiß, ob das anders abläuft? Aber zuerst einmal sitzen wir wie gewohnt bei Köz Urfa und knabbern leckeres Baklava und dazu große Becher Ayran. Es ist unerträglich heiß geworden!
Langsam trudeln noch andere Motorradfahrer ein. Der Autozug scheint gut gebucht! Warum die ÖBB-Autozüge diese Strecke nicht mehr fahren, wird uns ewig ein Rätsel bleiben und genau so lange wütend machen. "Villach" steht auf dem Zettel. Eine Notlösung für uns, denn eigentlich wollen wir nach Wien!
Es ist 17:30 Uhr, als Bewegung in die Sache kommt. Gurtschlaufen werden an Motorräder gehängt, man spürt die Spannung steigen. Unzählige Mal sind wir bereits in Autozüge eingefahren und jedes Mal ist es einfach nur gräßlich! 1,55 m sind die Stahlaufleger hoch und das ist jedes Mal wieder brutal niedrig. Liegend auf dem Motorrad über unebene Stahltraversen zu rollen, ist nicht jedermanns Sache!
Zum Glück sind heute Gummi und Stahlboden trocken, also entfallen die ganz wilden Stunts. Um 18:00 Uhr ist es geschafft und beide Transalps stehen sicher verzurrt am Zug. Natürlich musste Didi die Mannschaft wieder überwachen, denn die fürs Verzurren verantwortlichen Arbeiter sind selten "die schärfste Spaten in der Scheune". Bei dieser Aktion wurden schon Blinker, Sturzbügel oder Windschilde abgerissen!
Juchuuuu! Erstmals dürfen unsere Packrollen am Motorrad bleiben! Der Verlademeister prüft nur kurz unsere Gurte und befindet die Stahlratsche als ausreichend. Ja eigentlich haben wir die "Cliffords" genau deswegen gekauft! Bloß hat das bisher auf keinem Bahnhof interessiert. Danke schön, liebe Hamburger!
Wir entern unseren Waggon ... und flüchten umgehend wieder hinaus auf den Bahnsteig! Das ist ja unerträglich! Im Waggon hat es 60°C, es bleibt einem schier die Luft weg! Schnell wird klar, warum: Der Uraltwaggon in schmucker Rostfarbe brütet seit Stunden in der prallen Sonne. Dass man die Fenster bei so alten Waggons noch öffnen kann, bringt da auch nichts mehr.
Sämtliche Passagiere warten jetzt mit uns am Bahnsteig. Offenbar will niemand auch nur eine Minute zu früh sein Abteil aufsuchen. Doch irgendwann nutzt es nichts. Wir müssen ´rein, wenn wir mitfahren wollen!
Schwitzend hocken wir in unserem Schlafwagenabteil - das überraschend größer aber auch deutlich abgewohnter ist als bei der ÖBB - und köpfen die Wasserflaschen, die man hier bereitgestellt hat. Um 19:00 rollt der Zug los. Wir haben die Fenster ganz geöffnet, der Fahrtwind bringt ein wenig Erleichterung.
Als wir bei Hamburg vorbeifahren, kommt der Bordkellner und fragt nach unseren Wünschen. Das ist unser Moment! Triumphierend überrreichen wir ihm die Kommunikation mit UEX: Wir waren die ersten, die diese Route gebucht haben und deshalb gibts jetzt Freibier!
Verdutzt nimmt der junge Mann den Beweis entgegen, nickt und kommt nur Augenblicke später mit zwei kalten Bier zurück. So lässt sich das aushalten! Auch weil wir immer wieder das große Gangfenster öffnen, das empfindlichere Passagiere wieder zugedrückt haben.
Doch seine Verwirrung ist nichts gegen unsere, als wir einige Zeit später unbekannte Orte passieren. Stendal? Magdeburg! Wo fahren wir da herum? Uns dämmert, dass wir eine vollkommen andere Strecke Richtung Österreich nehmen, als wir mit der ÖBB gewohnt sind! Wir sind tief im ehemaligen Ostdeutschland. Ob der Zug deswegen so wild hin- und herschaukelt und über jede Weiche stolpert? Was ist maroder, die Schienen oder die Waggonfederung?
Als es draußen finster wird, klappen wir die Betten herunter. Auch diese haben schon weit bessere Zeiten gesehen. Wir schließen die Vorhänge und fixieren diese mit ein paar Stück Gaffa. Der Mechanismus ist kaputt und ohne Abdeckung gibts in jeder Station gleißendes Licht im Abteil! Es dauert ein wenig, aber irgendwann fallen wir in einen unruhigen und viel zu oft unterbrochenen Schlaf.
Tageskilometer: 80 km
28. Tag: Villach (Autozug) - Wien
Es ist 7:30 Uhr, als wir die Augen aufschlagen. Ach, haben wir offenbar doch ein wenig geschlafen? Wir schauen uns völlig erledigt an, als wir durch die Tauernschleuse ruckeln. So eine unruhige Zugfahrt hatten wir noch nie! Die Jalousie blieb nicht geschlossen, es war immer wieder taghell im Schlafzimmer und der Lärm und die unruhige Fahrt taten ihr Übriges.
Wir haben beschränkte Laune, als wir in unserem abgewohnten Abteil auf den ersten Kaffee warten. Diese Fahrt kostete mit 900.- erheblich mehr als die luxuriöse Kreuzfahrt mit der Color Line! Und wofür? Alte Waggons, schlechter Schlaf und die Unannehmlichkeiten, die jeder Autozug mit sich bringt. Der Ärger auf der Anreise in München-Ost ist nicht vergessen.
Welcher Private würde sein Alleinstellungsmerkmal und sein Monopol nicht ausnützen? Plötzlich sind wir sicher, dass diese Art des Reisens für uns vorerst vorbei ist. Wir schaffen Wien-Dänemark in zwei Tagen, also schaffen wir auch Wien-Kiel! Da kann UEX/Train4you mit seinem Bekenntnis zum privatisierten Eisenbahnmarkt noch so bemüht gegen die "Marktdiskriminierung durch staatsfinanzierte Eisenbahnen" kämpfen. Leute, das war zu teuer für zu wenig Leistung, sorry! Das konnte die ÖBB besser, man fühlte sich weniger abgezockt.
Als wir nach unendlich scheinender Fahrt um 9:00 Uhr endlich in Villach einfahren, hat sich der Himmel verdüstert. Noch im Abteil haben wir unser Regenzeug übergeworfen. Schwere Wolken hängen über der Stadt, als wir weit außerhalb des Bahnhofs anhalten. Es riecht nach Regen! Wir beeilen uns, als wir fluchend den Fußweg Richtung Bahnsteig stiefeln.
Zum Glück steht der Wagen mit den Motorrädern schon da. Dass wir noch nicht hinein dürfen, ist uns - uns anderen Motorradfahrern - jetzt egal. Wir müssen unter Dach, sonst sind wir verloren! Und punktgenau, als wir gebückt im lächerlich niedrigen Stahlaufleger stehen, geht ein Wolkenbruch nieder, der seinesgleichen sucht!
Während wir eilig die Regenkombi dicht machen, stehen die anderen Passagiere mit ihrem Gepäck schutzlos im Starkregen. Hier gibt es - außer einer kleinen Bushaltestelle - keinerlei Unterstellmöglichkeit! Neidvoll sehen sie uns zu, wie wir geschützt und wasserdicht auf die Motorräder klettern und starten. Angelika denkt noch "Der Neid wird euch Autofahrern gleich vergehen...." als wir über die kleine Rampe ins Freie paddeln.
Du meine Güte, was für ein Unwetter! Schwere Tropfen prasseln auf uns herab, ins Visier regnet es nach wenigen Metern hinein. Bei einem Nothalt um die Ecke besprechen wir uns kurz (und wischen die Visiere innen trocken). Einfach ´raus aus der Stadt und die bekannte Route ohne Autobahn. Die ist etwas kürzer, quasi Luftlinie...
Ossiacher See, Feldkirchen, St. Veit an der Glan. Es wäre so eine schöne Strecke und wir kennen sie sehr gut! Doch bei diesem Weltuntergang schauen wir weder links noch rechts. Es ist eine furchtbare Regenfahrt und dass wir so übermüdet sind, hilft jetzt auch nicht.
Noch vor Friesach retten wir uns in eine Tankstelle. Wir haben 70 km hinter uns und sollten mal frühstücken! Doch wir haben keinen Appetit und begnügen uns mit einem trockenen Semmerl ohne alles. Dazu einen kalten Energydrink. Es geht uns nicht gut und wir erwägen, auf halber Strecke nochmal eine Unterkunft zu suchen. Wir kennen eine, in der wir uns immer wohlfühlen!
Doch wie immer gilt "Stick to the plan" und wir ziehen das jetzt durch. Immerhin hat es zu regnen aufgehört und wir kennen die langweilige S6-Semmeringschnellstraße in- und auswendig. Wir brauchen ein paar Pausen und - trotz Stau bei der Wien-Einfahrt - schaffen wir es am späten Nachmittag in unsere Wohnung.
Ein Motorradfahrtag, den wir uns mit dem ÖBB-Nightjet Hamburg-Wien gerne erspart hätten...
Tageskilometer: 335 km
Vielleicht schreiben wir noch ein Fazit dieser Reise? Mal sehen...
Von Kiel nach Wien oder: Ein ungeliebter Autozug
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