Kennt ihr noch den elterlichen Spruch aus Kindheitstagen "In den Monaten ohne R dürft ihr barfuß gehen"? Nun, heute ist der 1. Juni und nie war uns weniger nach Barfußgehen als heute. Als wir unser Zeug zusammenräumen und die wasserdichte Kombi anlegen, regnet es draußen bei knapp 12°C.
Das über Bayern angesagte Unwetter ist also eingetroffen. Genau deshalb wollten wir die lächerlich kurze Fahrt von Oberösterreich nach München auf zwei Tage aufteilen: um das Elend zu verkürzen. Dieses Mantra murmeln wir vor uns hin, während wir am grandiosen Frühstücksbuffet unsere Teller beladen. Es ist schön hier, im Inntalhof! Sehr gemütlich!
Wir haben im versteckten Innenhof eine kleine Überdachung entdeckt und die Erlaubnis erhalten, unsere Motorräder dort reisefertig zu machen. Während Angelika in die Apotheke ums Eck eilt und noch Kleinigkeiten kauft, schiebt Didi beide Transalps unters Dach. Jetzt können wir in Ruhe unsere schönen Packrollen festzurren und die letzten trockenen Momente genießen.
Nach einem geruhsamen Abschlusskaffee verabschiedet sich das Personal von uns außergewöhnlich herzlich. Sie können ihr Mitgefühl nur schlecht verbergen, als wir wie zwei Astronauten in den Regen hinaus stapfen. Es ist genau 12:15, als wir über die schlammige Zufahrt vom Hof rollen.
Bereits die ersten Kilometer sind eine Regenschlacht, die ihresgleichen sucht! Es schüttet in Strömen, die Sicht ist schlecht, in die angelaufenen Visiere regnet es binnen Minuten hinein und - was macht eigentlich diese deutsche Limousine, die dort am Acker im Schritttempo durch den Gatsch pflügt? Was hat der Typ vor?
Wir kämpfen uns jeden Kilometer vorwärts. Zum Regen ist jetzt auch noch Sturm dazugekommen. Klasse! Der fegt die Regentropfen quer vom Visier und die Sicht ist besser! Zum Glück zieht die A94 vollkommen gerade dahin, es gibt in dieser flachen, unspektakulären Gegend nichts zu sehen. Bei Schönwetter wäre uns jetzt langweilig aber so fordert die Fahrt unsere volle Konzentration.
Meine Güte, ist das anstrengend und ganz und gar unlustig! Während wir im "RAIN-Modus" die Autobahn entlangbollern sehen wir am Straßenrand einen Wanderschäfer, der seine Herde tropfnasser Schäfchen weitertreibt. Er trägt einen schweren Umhang, Hut und Stock und wirkt in seinem langsamen aber stetigen Vorangehen wie aus der Zeit gefallen.
Es war uns nicht bewusst, dass es diese Tradition noch gibt! Etwa 60 Männer üben diesen althergebrachten Beruf noch aus, werden wir nach der Reise herausfinden...
Wo um Himmels Willen können wir Pause machen! Wir müssen mal ins Trockene! Nach genau 63 km erkennen wir endlich den Rastplatz "Fürthholz" und kurven erleichtert von der Autobahn. Ohne anzuhalten rollen wir gleich ins WC-Häuschen, besser: in den Eingangsbereich hinein. Auf dem weitläufigen Platz gibt es sonst keinen Unterstand, wie wir mürrisch feststellen. Eng an unsere nassen Motorräder gelehnt, teilen wir uns den einzigen regenfreien Quadratmeter.
Während wir genervt eine Zigarette rauchen und die weitere Fahrt besprechen, quetschen sich einige Reisende an uns vorbei aufs Klo. Kein einziger beschwert sich, kein einziger nörgelt herum! Wir sind überrascht aber glücklich über das Verständnis, das die Menschen zeigen! Manch einer spricht nette, aufmunternde Worte. Einer von ihnen, ein Motorradfahrer, deutet vielsagend auf sein Auto. Er hat seine 1250GS zu Hause gelassen und fährt lieber mit seinem vierrädrigen BMW auf Urlaub.
Noch 50 km bis München! Wir haben bereits unsere neuen JBL-Ohrstöpsel aktiviert. Bluetooth wird uns mit dem Hondy-Sync-Schmalspur-Navi auf direktem Weg zur Autoverladung am Ostbahnhof führen. So hoffen wir! Wir hatten nie ein Navi und dieses Technik-Zeug ist ungewohnt. Wir wundern uns immer noch, was diese neuen Motorräder alles können und anbieten, was wir nicht brauchen!
Aber heute wollen wir uns keinesfalls in der Großstadt verfahren und dafür ist es gut. Googlemaps ist aktiviert, die Stimme plärrt "Pairing!" und "Connected!" in den Helm und das Handy wandert in unsere neuen schönen Sturzbügeltaschen. Los gehts!
Der Mensch gewöhnt sich doch an alles. Der Sturzbach an Regen macht uns bereits weniger aus, als wir die A94 weiterdüsen. Die Transalps halten unbeirrt die Spur und zeigen keinerlei Respekt vor den Verhältnissen. Was für tolle Motorräder! Wir halten stur auf München zu, ohne links und rechts zu schauen. Bei diesem Tempo brauchen wir etwa 45 Minuten, das ist ok.
Das Navi kommandiert zuverlässig, rechtzeitig und deutlich, als wir am östlichen Rand von München den Autozug suchen. Im Regen rollen wir um Punkt 14:30 in den Verladebereich am Bahnhof und stellen die Transalps in eine Wartespur. Hier schauts furchtbar aus! Sind wir hier richtig?!
Wir haben gelesen, dass eine neue Autoverladung im Süden Münchens gebaut wird. Schaut das hier deshalb so vergammelt aus? Ob wir diesen neuen Bahnhof noch erleben? Bei solchen Großprojekten soll es durchaus mal zu Verzögerungen kommen...
Der Platz ist abgewrackt, vollkommen verlassen und Gerümpel stapelt sich am Rand. Aus den Wartespuren wuchert Unkraut. Bei Schönwetter würde jetzt Tumbleweed über den Platz rollen! Wir sind verunsichert und ein wenig nervös. Fährt hier der UEX-Autozug ab?
Es ist unsere erste Fahrt mit diesem Zug! Seit die ÖBB die Strecke Wien-Hamburg nur mehr ohne Fahrzeuge fährt, ist das für uns eine schnelle Möglichkeit in den Norden. Die bunte Werbung hat uns überzeugt. Ob die Realität hält, was die Website verspricht? Wir werden sehen.
Während Angelika deprimiert unter einer wackeligen Baustoff-Abdeckung steht, entdeckt Didi ganz vorne einen halbwegs trockenen Platz, wo bereits eine schöne Harley-Davidson steht. Komm, lass uns die Transalps dort unterstellen!
Langsam tuckern wir über die langen Wartespuren und pflanzen die Motorräder eng nebeneinander auf. Ok, das geht. Wir sind zumindest aus dem Starkregen raus. Was nun? Wir haben noch fast vier Stunden Zeit bis zur Verladung!
Mittlerweile schüttet es so stark, dass wir nirgends hingehen können. Die einzige Sitzgelegenheit bietet ein kleiner, ranziger "Burger King" - Laden, in dem ein gelangweilter Typ lieblos seinen Job macht. Wir erkaufen uns mit Pommes, Kaffee und einem fragwürdigen Kuchen den Aufenthalt in der nach altem Fett müffelnden Bude und platzieren uns ans Fenster, Blick auf die Transalps. Das Regenzeug hängen wir zum Trocknen über die Plastiksessel.
Während wir stumm in unserem Pappbecher rühren, sind wir ein wenig betrübt, wie unser Urlaub beginnt. Regenfahrten und nun ein Nachmittag in so einer "Windn"? Nun gut. Es ist trocken und mit der Zeit trudeln noch mehr Motorradfahrer herein, die ebenfalls eine Sitzgelegenheit suchen. Nicht alle besitzen die Höflichkeit, sich wenigstens einen Alibi-Kaffee zu kaufen.
Fast alle wollen zum Nordkapp, aber dennoch bleibt jeder für sich. Hat der Regen die Lust am Austausch weggespült? Wann war der Zeitpunkt, als Coolness die Kumpelhaftigkeit ersetzte? So lauschen alle teilnahmslos einer Freundesrunde deutscher Senioren, die sich über die Qualität ihrer Koffersysteme und vor allem ihrer neuen Navis austauscht. Die Stunden verrinnen zähflüssig.
Ein wenig Aufregung mischt die Runde auf, als klar wird, dass das einzige WC die versiffte TOI-Mobilkabine ist, die da weit draußen im Regen steht. Gerade, als die lebhafte Diskussion darüber ihrem traurigen Höhepunkt entgegenstrebt und behördliche Vorschriften für Speiselokale zitiert werden, wird es Zeit zum Aufbruch.
Es ist knapp vor 19:00 und wir stehen im Regen, als die Verladearbeiter ihre Schlaufen an die Motorräder knüpfen. Außerdem wird hier bestimmt, welches Gepäck draufbleiben darf oder ins Abteil muss. Verdammt! Wozu haben wir die teuren Clifford®-Zurrgurte mit stählernem Verschluss gekauft, wenn wir die Packrollen abnehmen müssen? Aber der Verlademeister sitzt hier sowas von am längeren Ast und wir lernen gerne aus Fehlern anderer!
Mit ein wenig Verspätung geht es los. Die Nervosität der Gruppe steigt sprunghaft an. Wir sind die Einzigen mit Autozug-Erfahrung! Es stellt sich heraus, dass noch niemand das Vergnügen hatte, unter nur 1,55m hohen Stahlträgern endlose Aufleger entlang zu paddeln. Mit nassen Reifen auf Eisen. Wen man sich hier vertut, endet vielleicht die Reise am Bahnsteig von München-Ost! Viel Glück, Leute!
Für uns ist es schon Gewohnheit: Helm auf, Visier zu, einmal tief durchatmen, tief zum Tank beugen, Arschbacken zusammenkneifen und liegend Standgas geradeaus. Bei jeder rumpelnden Bodenschwelle darf geflucht werden. Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir am Waggon ganz vorne angelangt und die Arbeiter beginnen unverzüglich mit dem Festzurren.
Wir stiefeln im Regen und ohne Verzögerung zu unserem Bahnsteig. Um Himmels Willen! Wie weit ist das bitte?! Bepackt mit Packrolle, Regenrolle und Helm latschen wir durch das Untergeschoß von München-Ost. Wo müssen wir hin? Nichts ist angeschrieben. Der UEX ist ein privates Unternehmen und der Bahnhof der DB spart sich die Information.
So irren zahlreiche Motorradfahrer von Gleis zu Gleis und versuchen, ihren Zug zu finden. Angelika flucht gotteslästerlich vor sich hin, während Didi stumm in sein Motorradzeug schwitzt, denn unser Regenzeug haben wir fürs Verladen wieder angezogen. Wir wollen nicht durchnässt im Abteil sitzen!
Als wir unseren Zug endlich gefunden haben, dürfen wir nicht rein. Fast kippt die Stimmung. Bloß nicht aufregen! Er steht ja erst seit heute Vormittag hier. Nicht genug Zeit zum Aufräumen.
Es vergehen noch nervenzerrende zwei Stunden am finster werdenden Bahnsteig, bis wir endlich vollkommen erledigt in unserem Schlafwagen-Abteil sitzen und uns umsehen. Es ist viel geräumiger als bei der ÖBB! Platz genug, das ganze nasse Zeug über unseren Köpfen aufzuhängen! Der enge Waggon stammt aus dem Paläozoikum des Schlafwagenreisens. Alles ziemlich abgenutzt und gerade noch funktionstüchtig. Sind die 900.-, die uns diese Fahrt kostet, gerechtfertigt? Wir wissen es nicht.
Aber als der hochbetagte Zug um Punkt 21:32 Richtung Hamburg ablegt, kommt doch langsam Reisevorfreude auf! Uns schmeckt das Chili con Carne aus dem Pappbecher, das wir beim ausgesprochen netten Steward bestellt haben und wir haben noch Chips und Bier. Baha und seine Kollegin Vanessa betreuen uns fürsorglich; wir haben eine gute Zeit mit den beiden! Danke dafür!
Später werden wir feststellen, dass die Betten richtig bequem sind (kein Vergleich zur ÖBB!) und so die fehlende Luftfederung des Waggons fast wettmachen. Um Mitternacht fallen wir in einen unruhigen Schlaf. Morgen sind wir in Hamburg!
Tageskilometer: 115 km
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