Wir sitzen vor unserer kleinen Wohnung - es hat frische aber sonnige 9°C - und sind uns einig: Dies ist ein Platz an den wir wiederkehren wollen! So ein hübsches Apartment in so einer legendären Umgebung! Glücklich nippen wir am heißen Kaffee, beißen ins mitgebrachte Buttersemmerl und packen langsam unser Zeug zusammen.
Mit dem "Jotunheimvegen" steht uns ein großes Abenteuer bevor! Sind wir besonders aufgeregt? Nein, denn 1. ist gestern auf der Piste schon alles gut gegangen und 2. passt das Wetter heute wieder. Also steht dem kleinen Offroad-Ausflug nichts entgegen! Um 10:30 rollen wir fröhlich vom Platz. Unser netter Vermieter hat sich schon früh verabschiedet, er ist bereits los zu seiner Arbeit.
Noch ganz kurz halten wir beim Coop-Supermarkt in Skåbu. Wir brauchen ein paar Kleinigkeiten für die Hütte heute abends. (Und Zigaretten. Damit gehen wir in Norwegen äußerst sparsam um, denn ein Packerl kostet etwa 17.-) Dass Angelika eine neue, stabile Thermosflasche entdeckt, ist reines Glück! Am "Peer Gynt Vegen" hat sie gestern bemerkt, dass die alte ihren Job nicht mehr tut. Die wandert noch in Skåbu in den Müll!
Den Rv425, den wir gestern hergefahren sind, den fahren wir nun weiter Richtung Westen. Die Gegend mutet fast österreichisch an! Almwirtschaften, kleine Holzhäuser am Berghang und die typischen verkrüppelten Bäumchen im Hochgebirge. Dieses fängt in Norwegen allerdings bei schon viel weniger Höhe an!
Irgendwo muss hier der berühmte Jotunheimvegen beginnen! Wir kurven die schöne Panoramastraße bergab, links unter uns im Tal der Vinstra-Fluss und da drüben die schneebedeckten Kuppen des Jotunheimen. Die "Heimat der Riesen" fasziniert uns seit unserer ersten Norwegenreise vor sieben Jahren!
Infobox: Jotunheimen
Seit etwa 160 Jahren trägt Norwegens höchstes Gebirge diesen Namen, der von der nordischen Mythologie abgeleitet wurde. Schon vor 800 Jahren wurde in der "Edda" das Heim des ältesten Göttergeschlechts "Jǫtunheimr" genannt. Für die Norweger schien dieser Name für das verwilderte Gebiet passend!
Jotunheimen ist tatsächlich ein ausgewachsenes Gebirge mit spektakulären Wanderrouten. Etwa 20 Gipfel sind über 2.300 m hoch und das ist in einem Land, das rundherum auf Meereshöhe liegt, ziemlich hoch. Der berühmte Sognefjellsveien führt mitten durch. Diese höchst gelegene Passstraße Nordeuropas sind wir schon mehrmals entlang gefahren.
Als wir schon nicht mehr daran glauben, führt die Straße nach 9 km mitten im Nadelwald über eine kleine Brücke. Ein kleiner Wildbach sprudelt unter uns munter dahin und wir rollen langsam weiter. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung endet der Asphalt! Und genau jetzt sehen wir das grob geschnitzte Straßenschild "Jotunheimvegen".
Wir sind langsam und vorsichtig ein paar Kurven gefahren, als wir zur Mautstation kommen. Auch hier gibts schon das moderne System mit ohne Schranken und Onlinezahlung! Nur hat Angelika noch gestern unsere Transalps bei Youpark registriert und so werden uns die 60 NOK/pP nach der kameraüberwachten Durchfahrt einfach abgebucht. Es ist doch nicht so kompliziert, wie wir befürchteten!
Es ist genau 11:30. Einmal tief durchatmen und los gehts! Der schmale Weg steigt sofort leicht an.
Die Oberfläche ist brettharte Erde mit ein wenig Schotter in den Fahrspuren. Kein Problem für uns und unsere Transalps, denen wir auch heute den GRAVEL-MODE verpasst haben!
Schon fahren wir über ein weitläufiges Fjell auf über 1.000m Seehöhe. Wir sind bereits über der Baumgrenze und sehen ringsherum bis zum Horizont.
Was für eine unberührte und naturbelassene Region! Bei unseren zahlreichen Pausen schauen wir auf eine atemberaubende, rauhe Landschaft, kleine glitzernde Seen und die Berge des Jotunheimen, die allesamt noch Schneehauben tragen. Die Straße ist gut befahrbar, nur ganz selten gibt es tiefen, schwimmenden Schotter, den wir aber umfahren können. Es ist ruhig hier. Keine Menschenseele ist zu hören oder zu sehen. Es ist diese absolute Stille dieser erhabenen Natur, die unsere Erinnerung prägen wird.
Nach etwa 20 km sehen wir eine Handvoll grasbewachsene Hütten an einem See. Der Vinstra! Jetzt kennen wir uns wieder aus! Wir sind auf der "Milchstraße", die wir 2018 schon vom "Rjupa" aus gesehen haben! Schon damals entstand der Plan, diese Naturpiste eines Tages entlang zu fahren...
Infobox: Die Milchstraße
Warum nennen die Norweger den Jotunheimvegen hier "Mjølkevegen"? Es gibt eine einfache Erklärung: In alter Zeit mussten die etwa 40 Bauern mit kleinen Booten den Vinstra überqueren, um ihre Milch von ihren kleinen Almen zum Wochenmarkt nach Bygdin zu liefern. Später holte man die Milch mit einem kleinen Motorboot "Svalken", das auch heute noch Touristen führt.
Die Reise war aufwändig und gefährlich und so baute man in den 1950ern diesen Saumpfad, um ihnen die tägliche Arbeit zu erleichtern. Anfangs nur ein schlechter Weg aus Birkenbündeln und Kies, wurde der Zustand Anfang der 1990er verbessert und heute fahren jährlich etwa 10.000 Fahrzeuge über den Jotunheimvegen, davon 30% Touristen. Die Erhaltung wird durch die Mauteinnahmen finanziert.
Wir freuen uns ausgiebig, auf so abenteuerliche Weise eine schon bekannte Gegend wiederzusehen, als wir an den kleinen roten Hütten vorbeirollen. Hier liegt noch jede Menge Schnee! Die einzige Schutzhütte "Haugseter Fjellstue" hat an diesem Freitag geschlossen.
Wir hätten sie beinahe übersehen, die dunklen Wolken und die Schneeflocken haben uns wohl abgelenkt. Vor lauter Begeisterung haben wir nämlich nicht bemerkt, dass die Sonne längst hinter Wolken verschwunden ist.
Wir meistern auch die letzte rabiate Steigung hinauf zur Mautstation und schlingern auf den kleinen Parkplatz. Selbstbewusst betrachten wir den "Jotunheimvegen" jetzt von oben.
Wir sind überglücklich, dass unser Plan aufgegangen ist! Angelika platzt fast vor Stolz, diese Aufgabe so gut gemeistert zu haben, als sie vergnügt herumläuft und eine Unzahl an Fotos knipst.
Wir haben für diese spektakulären 45 Kilometer genau zwei Stunden gebraucht und jetzt bekommen wir Hunger. Das letzte Mal war das Café in Bygdin geschlossen, aber schauen wir mal! Fröhlich fegen wir vom Platz und rollen den Rv51 entlang. Schau rechts! Schon wieder wirkt das große Gebäude im winzigen Bygdin verlassen und versperrt. Nur eine Gruppe Wanderer packt gerade ihr Picknick aus. Verdammt!
Doch jetzt erinnern wir uns an Svenja Svenduras Reisebericht. Vor zwei Jahren stand sie vor dem selben Problem. Sie fand einen Kiosk und den suchen wir jetzt! Zügig brausen wir die geschwungene Straße entlang, vorbei am beeindruckenden Bitihorn mit seinen düsteren Felswänden. Je höher wir kommen, desto mehr Schnee liegt am Straßenrand. Heut ist der 7. Juni und der Winter ist hier noch nicht lange vorbei.
Plötzlich nach einer Kurve links der Kiosk! Die "BITIBUA" lockt mit Kaffee und Ziegenkäse und wir rollen auf den abschüssigen Schotterplatz. Schnell klettern wir die steilen Stufen hinauf und lesen das handgeschriebene Angebot. Wir lieben diese winzigen Bauernläden, die auch in Österreich in den letzten Jahren überall aus dem Boden schiessen!
Wir ordern bei der fröhlichen Bäuerin unsere Bestellung. Angelika muss unbedingt eine flauschige Waffel mit Rahm und Marmelade haben, während Didi traditionelle "Lefse med Rakfisk" probiert. Fermentierte Forelle in einer Art Palatschinke? Sie schmeckt ihm so gut, dass er gleich mehrere davon nimmt. Dazu schlürfen wir samtig schmeckenden Kaffee. Wir haben Zeit, es ist gerade Mittag! Hier bleiben wir!
Dieser Plan scheitert dramatisch, als eine dunkle Regenfront sichtbar näher rückt. Während dem letzten Schluck überlegen wir noch, wie viel Zeit uns bleibt, als uns schlagartig klar wird: Keine mehr! Wir werfen die 160 NOK (14.-) auf den Tisch und völlig überstürzt räumen wir das Feld und winken der netten Frau hinter ihrem Tresen noch schnell zu. Jetzt aber flott! In einer Staubwolke wenden wir die beiden Transalps und ziehen am Gas. Die dichte Regenfront im Nacken düsen wir zurück nach Bygdin und vorbei am Einstieg in den "Jotunheimvegen".
In rasendem Tempo von erlaubten 80 km/h geht es nun schnurstracks übers baumlose "Valdresflye"-Fjell. Diese eher unbekannte Landschaftsroute bietet großartige Ausblicke auf die höchsten Gipfel im "Heim der Riesen" und sie verläuft unspektakulär genug, um die Anblicke der von Gletschern glatt geschliffenen Berge in sich aufzunehmen.
Infobox: Der höchste aller Gipfel
Der Galdhøppigen, den man vom Fjell aus sieht, ist mit 2.470 m Höhe nicht nur der höchste Gipfel in Festland-Norwegen sondern ganz Skandinaviens.
Die Erstbesteigung schafften ein Lehrer, ein Bauer und ein Kirchensänger im Jahr 1850. Seit damals führt die kürzeste Wanderroute über einen Gletscher, als Bergführer arbeitet ein Sherpa. Man kann den Berg allerdings auch einfacher bezwingen, ganz ohne Klettern und Gletscher (dafür mehr Ausdauer). Und im Sommer gibt es ganz oben sogar einen kleinen Kiosk!
Nur ganz kurz halten wir für ein Foto bei einer beeindruckenden Schneewächte. Wir sehen, dass die böse Regenfront bereits alles hinter uns verschlingt. BITIBUA und Jotunheimvegen saufen gerade ab!
Obwohl wir dem Regen entkommen wollen, gönnen wir uns einen Abstecher zum Gjende-See. Wir wollen den still daliegenden, mystischen See nochmal sehen und vielleicht geht sich in der winzigen Hütte am Bootsanleger noch ein Kaffee aus? Doch unsere Idee mündet in eine Enttäuschung. Der Anleger ist nun ein zubetonierter Hafen und die Hütte ein mondänes Restaurant mit Drehkreuztüren und weitläufigem Parkplatz. Schade! Hier ist nichts wiederzuerkennen, es hat sich seit 2018 Jahren viel verändert...
Nun gibt es für uns nichts mehr zu tun. Die letzten 40 km des Tages reissen wir in einem Stück ab, mitunter gemessenen Tempos, denn wir hoffen auf die Rentiere, vor denen die Verkehrsschilder in regelmäßigen Abständen warnen. Getroffen haben wir nur einige Schafe.
Es ist genau 16:00, als wir im Jotunheimen Feriensenter eintreffen! Es ist alles noch so wie vor sechs Jahren und wir sind sofort orientiert. Nur aus dem ungelenken Teenager an der Rezeption ist eine hübsche junge Frau geworden, die uns nun lächelnd über unser Wiederkommen den Schlüssel überreicht. Wir bekommen sogar die selbe Hütte wie damals!
It´s timing, baby! In dem Moment, als wir unsere Packtaschen in die kleine Hütte am Rand des Platzes gewuchtet und die Türe hinter uns geschlossen haben, hat uns das Unwetter eingeholt. Der Himmel öffnet seine Schleusen, als wolle er beweisen, dass unsere Regenflucht vergeblich war! Wir bleiben heute in der Hütte mit Travellunch, Keksen und Kakao. Den Besuch der Sanitäranlagen lassen wir aus. Sollte einer von uns duschen wollen, braucht er nur vor die Türe zu treten!
Und als wir ein schönes Foto von der heutigen Piste auf Instagram stellen, die Überraschung: Man gratuliert uns zur Fahrt am TET Norwegen? Nanu? Wie kommt das? Wir lesen, dass wir heute unwissend eine Sektion dieses europäischen Offroad-Tracks gefahren sind. Verblüfft schauen wir uns an. Das macht unser großes Abenteuer doch noch einen Klick abenteuerlicher!
Tageskilometer: 130 km
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