Sonntag Nachmittag. Wir eilen im Laufschritt durch strömenden Regen zu unseren Motorrädern. Was ist passiert?
Nach dem Aufstehen sind wir im Sonnenschein bei einem wunderbaren Kaffee im lauschigen Garten des "Café Resonanz" gesessen. Nur dort haben wir noch ein freies Plätzchen gefunden! So ein Café hätten wir auch gerne um die Ecke: unglaublich, welch phantasievolle Früh- und Spätstückvariationen hier zu haben sind! Und dann haben wir noch Svenjas Croissant-Vorrat dezimiert und ein letztes Mal unsere gemeinsame Reisevorfreude gefeiert. Natürlich haben wir uns verquatscht und ... dann ist der Sonnenschein verschwunden und jetzt um 14:30 schüttet es.
Nö, wir brauchen kein Regenzeugs! Das halten wir jetzt aus! Schon kurven wir auf der B76 gen Osten. Keine Ahnung, warum wir keine Karte von Schleswig-Holstein eingesteckt hatten! Aber wir haben Svenjas Handkarte im Sichtfach des Tankrucksacks. Die ist zwar nicht besonders detailliert, aber das wird schon reichen. Wir halten uns einfach an die Schilder Richtung Plön!
Na schau. Da kommt auch schon wieder die Sonne ´raus! Diese Straße ist hübsch zu fahren! Ab und zu eine dezente Kurve oder eine kurze, saftig-grüne Allee. Ab und zu ein pittoreskes reetgedecktes Haus. Einige Motorradfahrer kommen uns entgegen und alle grüßen freundlich! Eine Tradition, die unserem Empfinden nach in Österreich langsam der Vergangenheit angehört... Sind wir unfreundlicher? Oder einfach zu viele?
Langsam häufen sich die kleinen Seen an der Strecke und wir erinnern uns: Die Plöner Seenplatte! Da war damals dieser nette Typ beim Autoreisezug in Wien. Er hat uns einen Besuch seiner Heimat ans Herz gelegt! Nun gut, zumindest durchqueren wir jetzt sein Seen-Paradies.
Halt! Was ist denn dort vorne? Ein mächtiges, strahlend-weißes Schloss erhebt sich am Ufer des Großen Plöner Sees. Das schaut aber klasse aus!
Infobox
In den Elendsjahren des Dreißigjährigen Kriegs erbaut, hat der Rennaissance-Bau eine abwechslungsreiche aber auch dunkle jüngere Geschichte. Jetzt ist es eine bedeutende Touristenattraktion der Holsteinischen Schweiz und außerdem Ausbildungszentrum für Optiker der Firma Fielmann.
Sollen wir das Schloss besichtigen? Hm, so einfach ist das nicht. Man muss eine Führung bekommen, denn es ist nicht frei zugänglich. Ach, das verschieben wir aufs nächste Mal. So entscheiden wir, als wir mitten in einer Plöner Kleingartensiedlung Pause machen.
Mittlerweile hat es sonnige 24°C, aber die zahlreichen Radfahrer, die hier bevorzugt pastellig-sportives Freizeitgewand ausführen, scheinen mit ihren Jacken dem Sommerwetter nicht zu trauen. Kein Wunder! Die schwarze Front da vorne schaut bedrohlich zu uns ´rüber!
Eine Tankpause in Eutin und einen kleinen Stau später düsen wir schon Richtung Ostsee-Strand. Das Straßengeflecht ist verwirrend und der Verkehr am Sonntagnachmittag gewaltig! Mehr durch Zufall stossen wir bei Haffkrug an die Ostsee.
Ui, das ist aber nobel hier! Man erkennt auf den ersten Blick das Urlaubsrevier betuchter Leute. Wir sehen einen eleganten Kurpark und zahlreiche Menschen flanieren dekorativ den kleinen Damm entlang. Der starke Wind zaust die blond gefärbten Frisuren der Damen ebenso dekorativ wie das zarte Strandgras und alle tragen sie die gleichen pastellfarbenen Steppjacken und kleine Hündchen am Arm. Hier hat man Geld und man zeigt das auch.
Wir müssen grinsen! Man hatte uns schon erzählt, dass die Gegend um den Timmendorfer Strand eine teure Gegend mit zahlungskräftigen Gästen wäre, aber wenn sich ein Klischee dann so übererfüllt, ist es einfach zum totlachen, oder? Wir rollen über die Strandallee langsam und respektvoll an Thermen und Kurhotels vorbei, die hier Namen wie "Plaza Premium", "Gran Belveder" oder "Grand Hotel & SPA Seeschlösschen" tragen.
Es gibt hier einen großartigen Wegweiser Richtung Travemünde, der jede Karte überflüssig macht: Den ebenso gigantischen wie hässlichen Hochhausturm des "Hotel Maritim". Wer zum Geier erteilte für so einen Klotz die Baugenehmigung? Uns ist diese Architekturhölle mit seinen 36 Stockwerken jedoch irgendwie vertraut. Hier hätten wir unseren Corona-Test bekommen können, wenn die Finnen für die Einreise einen verlangt hätten.
Wir wollten uns schon anmelden, aber letztendlich endeten alle Reisebeschränkungen und darum ist uns das monströse Schild "Zum Covid-Test" jetzt herzlichst egal. Uns kommt diese denkmalgeschützte Bausünde aus den 70er Jahren heute zu Gute, denn wir finden ohne Umwege unseren Campingplatz in Ivendorf, am Rande von Travemünde. Das Leuchtturm-Feuer am Dach des Hotels war dafür gar nicht notwendig!
Um Punkt 17:00 halten wir vor dem Einfahrtsschranken und eilen zur kleinen Rezeption.
Nur Minuten deutscher Bürokratie später stehen beide Transalps vor der winzigen Backpacker-Hütte und wir treten die schwere Türe mit einem kräftigen Tritt auf. Puuhh! Hier stinkts! Fleißige Heinzelmännchen meinten es gut und versorgten die vier Quadratmeter mit viel zu vielen Duftbäumen. Die fliegen erstmal raus!
Obwohl wir schon unzählige Male auf einem Campingplatz eingecheckt haben, jetzt fühlt es sich seltsam an! Wir werden nämlich hier nicht übernachten! So wie viele nutzen wir den Platz nur für die lange Wartezeit auf die Fähre nach Helsinki, die zwei Kilometer entfernt ablegen wird. Und zwar zu einer Zeit, die ganz furchtbar unpraktisch ist: um 2:00 in der Früh.
Das Boarding läuft bis Mitternacht, wir haben also noch Zeit, die wir nicht in der Wartespur im Hafen verbringen wollen. Dafür haben wir die simple Hütte mit den zwei einfachen Liegen gebucht. Vielleicht können wir uns noch kurz hinlegen? Nur gemütlich machen brauchen wir es uns hier nicht.
Da wir Hunger haben und unsere vier Wände keine Möglichkeit bieten, latschen wir jetzt zu dem kleinen Imbiss da drüben. Weil sich hier sowieso alles für uns ungewöhnlich anfühlt, bestellen wir furchtlos eine Riesen-Currywurst mit Pommes. Obwohl das äußerst gewöhnungsbedürftig aussieht, schmeckt die süße Sauce, in der alles schwimmt doch erstaunlich köstlich!
Und genau als wir den letzten Bissen (immer mit einem Blick auf die Uhr) hinunterspülen erreicht uns eine SMS von der Fähre: "Streik der Hafenarbeiter. Verspätung! Das Boarding beginnt nicht vor 2:00!"
Wir schauen uns an: Fünf Stunden Verspätung?! Didi telefoniert kurz mit den Leuten von Finnlines und bekommt bestätigt: Ja! Wir müssen nicht vor 2:00 im Hafen sein. 3:00 reicht auch. Jetzt zahlt es sich wirklich aus, hier in Travemünde ein Wartehäuschen gemietet zu haben! Wir freuen uns, als wir zur Hütte zurückstiefeln und uns ohne Umschweife im Motorradgewand auf die einfachen Betten legen. Wir stellen den Handywecker auf Mitternacht. Dann haben wir noch Zeit genug...
Wir haben tief und fest geschlafen! Das hätten wir in der Aufregung hier nicht gedacht. Denn um Mitternacht herrscht vor unserer Hütte ungewöhnlich viel Rummel. Der halbe Campingplatz scheint im Aufbruch zu sein! Leute diskutieren miteinander, Wohnmobile werden aus- und wieder eingeparkt. Eine summende Wolke aufgeregter Lärm liegt über dem Platz, während wir uns aufrappeln und aus den GIVI-Koffern das Allernotwendigste für 30 Stunden Fährenfahrt in den Tankrucksack destillieren.
Man munkelt, dass unser Schiff "Finnlady" erst jetzt im Hafen eingetroffen ist! Es ist 1:00, als wir vom Platz rollen. Pech, dass es wieder zu regnen begonnen hat! Diesmal aber sind wir ins Regenzeugs geschlüpft, denn wer weiß, was diese Nacht noch bringt? Wie lange werden wir wirklich warten müssen?
Keine fünf Minuten später stehen wir in der Wartespur am Hafen, das Einchecken ging so schnell und die Karte für unsere Kabine haben wir auch schon. 640.- nehmen die Finnlines für die Überfahrt von zwei Transalps und uns beiden.
Es ist schon eine Handvoll Motorradfahrer da, aber die sind genau so schweigsam wie wir. Still beobachten wir das scheinbar ungeordnete Chaos im Hafen, das sich trotzdem immer wieder zusammenfügt.
Nach einer halben Stunde sind wir ziemlich müde geworden, als es plötzlich los geht! Man merkt deutlich, dass hier improvisiert wird. Für uns ist jedoch die einzige Herausforderung, mit nassen Gummis auf nassen Metallböden zu balancieren und dabei weder Würde noch Bodenhaftung einzubüßen, als wir in den Schiffsbauch tuckern. Nur kurz ärgern wir uns mit den fremdartigen Spanngurten, die hier keine Ratschen sondern nur fragile Plastikteile besitzen. Wir genieren uns nicht, einen der völlig übermüdeten aber netten Streikbrecher um Hilfe zu bitten.
So können wir es immerhin allen anderen Motorradfahrern erklären, die vermutlich einfach zu cool waren, sich Expertenhilfe zu holen. (Bis auf diejenigen, die eigene Ratschengurte im Gepäck haben, aber das finden wir sowieso ziemlich speziell.)
Es ist 3:00, als wir über lange Stufen hinauf auf Deck 9 latschen, wo sich bereits unzählige Menschen dicht an dicht drängen. Ein Blick auf die große Uhr zeigt: 4:00, denn hier an Bord gilt finnische Zeit! Manche dösen sitzend am Boden, manche versuchen, stehend zu schlafen. Die Kabinen sind noch nicht fertig!
Einige Dämchen verlieren jetzt lautstark die Geduld und es ist schön zu sehen, dass die ebenso laute Solidarität der Menge den hart arbeitenden Aufräumefrauen gilt, die nach stundenlanger Verspätung und zu dieser furchtbaren Zeit alles geben, um unsere Kabinen herzurichten! Für Höflichkeiten ist es heute schon zu spät.
Kurz darauf eilen wir in unsere Kabine, werfen unser Zeug auf die frisch gemachten Betten und eilen aufs Unterhaltungsdeck. Wir haben vorhin aus den Augenwinkeln eine hübsche Bar entdeckt, die noch offen hat. Die Leute von der Finnlines haben extra für uns die Öffnungszeiten verlängert!
Angelika zückt stolz ihre "Star Club"-Mitgliedskarte und checkt vergünstigte Drinks, mit denen wir uns aufs Freideck stellen. Der Hafen ist taghell beleuchtet. "White Russians" (á 5,90€) schlürfend beobachten wir eine Zeit lang das Treiben, während langsam im Osten zartes Morgengrauen beginnt.
Nach den zwei leckeren Nightcaps schlurfen wir zurück in die Kabine und legen uns ohne weitere Verzögerung hin. Es ist 5:00. Ein langer Tag ist zu Ende. Das Schiff hat immer noch nicht abgelegt, als wir in einen tiefen und traumlosen Schlaf fallen.
Tageskilometer: 110 km
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